Entdecken Sie Tunesien!
Ein Abend im Fastenmonat Ramadan: Familienväter und Yuppies drängeln durch die schmalen, von Läden gesäumten Gassen der Medina von Tunis; verschleierte Frauen spazieren Arm in Arm mit Mädchen in Hüfthosen an den Auslagen der Boutiquen vorbei; ehrwürdige, in die traditionelle Djellaba gewandete Herren diskutieren heftig gestikulierend mit jugendlichen Baseballmützenträgern über Fußball. In den Cafés versammeln sich junge Paare um Wasserpfeifen, Loungemusik wabert durch die Souks, mischt sich mit den zarten Tönen einer arabischen Laute aus einem maurischen Palast. Ein paar Schritte weiter sind dumpfe Trommeln zu hören. Die religiösen Gesänge einer Sufibruderschaft hallen von den Mauern wider und machen dem arabischen Rap aus den Lautsprechern der CD-Läden Konkurrenz. Tradition und Moderne – in Tunesien sind das keine Gegensätze, sondern zwei sich ergänzende Aspekte.
Sonne, Strand und Meer – als ganzjähriges Badeparadies hat Tunesien sich längst einen Namen gemacht. Im Hinterland hingegen gibt es noch viel zu entdecken: Punische Opferstätten und römische Tempel, wehrhafte Moscheen und orientalische Paläste für Kulturinteressierte, Dromedartrekking durch die Sahara und Tauchgänge zu den Korallenriffen für Aktive. Herrliche Golfplätze und luxuriöse Wellnesstempel garantieren Entspannung.
Mit 163 610 km2 Fläche ist Tunesien ca. halb so groß wie Deutschland und landschaftlich sehr abwechslungsreich: Die nördliche Korallenküste zwischen Bizerte und der Grenze zu Algerien zeigt sich mit schroffem Fels, einsamen Sandbuchten und dichten Eichenwäldern um den Fischerort Tabarka mediterran. Endlose Strände und bis zum Horizont Reihen akkurat gepflanzter Olivenbäume bestimmen das Bild an der Ostküste. Sahel – das Ufer – nannten die arabischen Eroberer das Gebiet südlich des Seebads Hammamet, die sich bis Sfax erstrecken. Befestigte, wehrhafte Hafenstädte wie Sousse, Monastir und Mahdia waren Handelsplätze für das wertvolle Olivenöl. Heute ist der Tourismus Hauptwohlstandsbringer: An den Stränden rund um Hammamet, zwischen Port el-Kantaoui und Monastir und bei Mahdia erfüllen phantasievolle Hotels ihren Gästen alle Urlaubsträume.
Im Norden und Osten von fruchtbaren Landstrichen eingerahmt, ist die zentraltunesische Steppe auf den ersten Blick das Aschenputtel aller Regionen. Der Gebirgszug der Dorsale, ein Ausläufer des Atlasgebirges, begrenzt sie nach Norden, und im Süden brandet die versengende Hitze der Sahara gegen das magere Steppengras an. Ausgerechnet hier in der Einöde gründeten die vom Islam beseelten und zur Eroberung Nordafrikas westwärts drängenden Araber im 7. Jh. Kairouan. Die heilige Stadt mit ihren religiösen Monumenten und der lebhaften Medina ist, verglichen mit den ärmlichen Nachbarsiedlungen, ein strahlender Stern. Nord- und Osttunesien haben ihre Erträge aus Landwirtschaft und Tourismus, Zentraltunesien ist jedoch ein wirtschaftliches Sorgenkind geblieben. Südlich von Sfax machen sich die Vorboten der Wüste bemerkbar, die in der großen Palmenoase von Gabès schon zum Greifen nah ist. Doch bevor der Grand Sud, der Große Süden, beginnt, weckt und erfüllt Djerba die schönsten Urlaubsträume. Ein Eiland ohne Wasser, bewohnt von strenggläubigen Ibaditen – das soll Homers lustvolle Lotophageninsel gewesen sein, die Heimstatt der berauschten Lotosesser? Nun, Millionen von Feriengästen geben dem alten Dichter recht und vergessen auf der Insel für einige Tage oder Wochen ihren Alltag.
Die Sahara bedeckt rund ein Drittel Tunesiens. Als Bilderbuchwüste mit sinnlich gewölbten Dünenketten stemmt sie sich beharrlich gegen die Barrieren der Oasenstadt Douz, die zu den beliebtesten Touristenzielen Südtunesiens zählt. Doch zeigt sich die Sahara auch anders: Im Süden trotzen die Menschen der Hitze und Trockenheit des Dahargebirges zwischen Matmata und Tataouine in bizarren Trichterhäusern, in Höhlendörfern und mächtigen Speicherburgen. Im Westen füllen Salzseen eine riesige Senke. Der Tourismus hat Tozeurs traditionellen Erwerbszweig, die Oasenwirtschaft, etwas verdrängt. Dennoch, hier wachsen noch immer die besten Datteln der Welt: Deglet en-Nour, die „Finger des Lichts“.
Tunesien hat etwa 10,5 Mio. Einwohner, von denen ca. ein Prozent zur Volksgruppe der Berber zählt, die das Land vor den Arabern besiedelten. Die Jahrhunderte des Zusammenlebens haben die Unterschiede beider Völker weitgehend verwischt. Tunesier sind polyglott und aufgeschlossen, ihre Sprachkenntnisse phänomenal. Neben Arabisch und Französisch, den beiden Landessprachen, beherrschen viele Spanisch, Italienisch, Deutsch und sogar Russisch. Die Menschen sind in der nordafrikanischen, nahöstlichen, aber auch in der europäischen Kultur verwurzelt, schließlich gaben sich Phönizier, Berber, Griechen, Römer, Vandalen, Byzantiner, Araber, Spanier, Türken und Franzosen die Klinke in die Hand. Dass Tunesien außenpolitisch oft den Weg zwischen den Blöcken sucht und als Mittler auftritt, ist sicherlich Folge seiner Geschichte.
Die fast bedingungslose Unterwerfung unter die Tourismusindustrie ist wohl die einzige Schattenseite in dem von der Sonne so großzügig bedachten Land. Immer mehr Küstenstriche wandeln sich zu Hotelkomplexen und Yachthäfen, und mit jeder neuen touristischen Zone geht ein Stück Natur verloren, wachsen die Müllberge, verschärfen sich die Wasserversorgungsprobleme. Dramatisch sind auch die Veränderungen in den Köpfen vieler Tunesier, die von den Fremden leben. Häufig tritt Zudringlichkeit an die Stelle traditioneller Zurückhaltung, und unsaubere Geschäftspraktiken ersetzen den Respekt gegenüber Gästen.
Tunesien ist ein islamisches Land, in dem die Verfassung die Polygamie verbietet und die Gleichberechtigung der Frau garantiert. Es ist wirtschaftlich abhängig von den Touristen, denen es dennoch seine wertvollsten Baudenkmäler, die Moscheen, verschließt. Es ist ein Agrarland, in dem fast 100 Prozent der Kinder eine Schule besuchen. Manch einem erscheint dieses fortschrittliche Tunesien so gar nicht wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Das ist es auch nicht – es ist Teil der islamisch-arabischen Welt, die zielstrebig ihren Weg in die Moderne sucht, ohne dabei ihr Erbe zu verleugnen. So war es gewiss auch kein Zufall, dass der Arabische Frühling in diesem aufgeklärten, gesellschaftlich aber tief gespaltenen Land begann. Demonstrationen wütender Bürger trieben innerhalb weniger Wochen den korrupten Alleinherrscher Ben Ali aus dem Land. Fassungslos standen die Menschen vor dem in Villen und Palästen angehäuften Luxus derPräsidentenfamilie und ihrer Günstlinge.
So friedlich, wie nahezu alle Proteste der „Révolution de la Dignité“, Revolution der Würde, abliefen, geht der Weg in die Demokratie leider nicht immer weiter: Die Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung gewann die gemäßigt-islamische Partei Ennahda. Eine Re-Islamisierung ist seither zu beobachten, und teils gewalttätige Demonstrationen zwischen „Religiösen“ und „Liberalen“ häufen sich. Bei allen Bedenken – der Stolz auf die Freiheit, die sie sich erkämpft haben, steht vielen ins Gesicht geschrieben. Sie wollen reden, diskutieren, erklären. Besucher erleben nun eine alte und zugleich dynamisch junge Nation im Aufbruch.
Wenn Sie Tunesien mit offenen Augen bereisen, werden Sie beides finden: den orientalischen Traum und die aufregende Moderne, die mauerbewehrte Medina und innovative Architektur, den Traumstrand und das Abenteuer Sahara, den ehrwürdigen Scheich und die selbstbewusste Managerin – viele Mosaiksteine, die zusammen das Bild eines wunderschönen, erstaunlichen und gastfreundlichen Lands ergeben.